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Sonntagsblatt - Bayern - Ausgabe - vom (Datum): 01-05.01.2003




Ein außergewöhnliches Kunstprojekt steht hinter dem erfolgreichen Roman »Q«

Wer ist Luther Blissett?

In der vorweihnachtlichen Bücher-Beilage des Sonntagsblattes (Nummer 46) haben wir den Roman »Q« bereits vorgestellt: Reformationszeit - und auf ihrem Hintergrund das Duell zwischen einem jungen Theologiestudenten, der mit den aufständischen Bauern um Thomas Müntzer sympathisiert, und »Q«, dem Mann ohne Gesicht, der im Auftrag des Papstes die häretischen Entwicklungen in Deutschland und Europa mit allen Mitteln bekämpfen soll. Ein mitreißend erzählter, bis zuletzt spannender Roman, detailreich und üppig - man ist versucht, an Umberto Eco zu denken.

Kein Genie, nur »großartige Rekombinierung«

Luther Blissett, ein neues literarisches Genie also? Ein Copyright-Hinweis auf der Titelseite macht stutzig: »Die auszugsweise oder vollständige Wiedergabe dieses Werks und dessen Verbreitung im Internet sind für persönliche Zwecke des Lesers erlaubt, vorausgesetzt, dass dies nicht aus kommerziellen Gründen erfolgt«, heißt es da. Welcher, noch dazu so erfolgreiche Autor oder Verlag - die deutsche Ausgabe ist seit dem Erscheinen im September bereits in der dritten Auflage - würde mit seinen Rechten so fahrlässig umgehen?

Die Anwort lautet: »Luther Blissett« - denn Luther Blissett gibt es gar nicht, zumindest als einen Autoren. Der Name steht für ein Programm. Luther Blissett, das ist ein wild wucherndes, anarchisches italienisches Kunst-und Literaturprojekt, das tatsächlich immer wieder mit Umberto Eco in Verbindung gebracht worden ist. Die Autoren, so steht es nach zahlreichen Gerüchten, Nebelkerzen und Falschmeldungen derzeit fest, sind aber allein vier junge Autoren aus Bologna, alle zwischen Mitte zwanzig und Mitte dreißig. Nach eigenem Bekunden machen sie aber nur »0,04 Prozent des Luther-Blissett-Projekts« aus, das, in der linken politischen Szene beheimatet, mit allerlei Kunstaktionen, inszenierten Falschmeldungen und theoretischen Texten in Erscheinung getreten ist (www. lutherblissett.net).

Auch nach Bekanntwerden ihrer Identitäten wollen die vier - sie heißen, das sei hier nur der Ordnung halber erwähnt, Federico Guglielmi, Luca Di Meo, Giovanni Catabriga und Fabrizio Belletati - aber keinesfalls »modische Jungautoren« werden und durch die Talkshows ziehen, weil sie dies als »unehrenhaft« empfinden würden.

Ihr Credo: In Netzwerken liegt die Zukunft des kreativen Schreibens. »Q« ist in einem vierjährigen gemeinsamen Schaffensprozess entstanden. Die vier haben diese Form des Schreibens mit dem Musizieren einer Jazz-Band verglichen: »Einige virtuose Solostücke, andere Teile gemeinsam.« Die Zukunft des Romans vergleichen sie mit interaktiver Software.

Mit dieser Arbeitsweise verbindet »Luther Blissett« eine radikale Kritik an Autorenschaft, Urheberrecht, geistigem Eigentum. Der Begriff des Literaten, seines Genies, hindere die Einsicht, dass Schreiben immer ein kollektiver Prozess und Ideen niemands Eigentum seien. Genie gebe es nicht, nur »großartige Rekombinierung«. Wer Autorenschaft beansprucht und daraus Urheberrechte ableitet, so die subversiven Künstler von »Luther Blissett«, begeht letztlich Diebstahl an der Allgemeinheit, aus deren großen Ideenstrom jeder zu jeder Zeit schöpft. »Q« darf deshalb von jedermann nachgedruckt und veröffentlicht werden.

Was aber die italienischen Rekombinierer mit dem Thema Reformation verbindet? Es ist wohl Sympathie mit denen, die Befreiung suchen, den Aufstand wagen, intellektuell und praktisch, der Kampf gegen anonyme Institutionen und anonyme Macht, die Bedeutung, der Wert des Einzelnen und sein Verhältnis zur Gemeinschaft. Und insofern ist der - literarisch gelungene - Roman sicher auch ein »Manifest für die Gedankenfreiheit«, wie es der Klappentext fragend formuliert.

Der »echte« Luther Blissett, der die Vorlage für die Kunstfigur bildete, ist über seinen unvermuteten Ruhm indessen nicht wirklich froh. Der englische Fußballspieler jamaikanischer Herkunft spielte in den 80er-Jahren für eine Saison in Italien beim AC Mailand und war dabei ziemlich erfolglos. In 30 Spielen schoss der Stürmer 5 Tore, sein Spitzname war bald »Luther Missed It - Luther Vorbeigeschossen«. Dabei blieb es nicht: Blissett wurde auch Zielscheibe rassistischer Attacken in italienischen Stadien. Als Reaktion darauf entstand das Kunstprojekt. Der heutige Trainer des englischen Clubs York City zur Parallelexistenz des virtuellen Luther Blissett: »Angetan bin ich nicht, aber was soll man machen?«

Q - ein Buchstabe hat Konjunktur

Der Buchstabe Q hat derzeit noch auf einem anderen Feld Konjunktur: Durchaus passend zum Erfolgsroman - aber den Intentionen des anarchischen Anti-Copyright-Projekts wohl eher entgegenlaufend - setzt jetzt auch eine christliche Werbeagentur auf »Q«, auf Qohelet, wie das Buch des Predigers Salomo nach hebräischer Schreibweise lautet. Mit »Mr. Q«-Kappen, »Mr. Q«-Sprüchen, Tassen, Uhren und Schirmen, sämtlich in schickem Schwarz, will man »den eher etwas hausbackenen Werbeartikeln in christlichen Buchhandlungen« etwas »positiv Provozierendes« entgegensetzen (www.mister-q.de). Es qommt uns qomisch vor - und dennoch: Q hat Qonjunktur.

Markus Springer





Luther Blissett: »Q«. Aus dem Italienischen von Ulrich Hartmann. Piper, München, 2002. 799 Seiten, 22,90 Euro.

 



 
Roman Luther Blissett

Roman Luther Blissett
Der Roman von »Luther Blissett« und der »echte« Luther Blissett im Trikot des Fußballclubs AC Mailand.Fotos: mister-q.de
Geldbeutel
»Q« steht für Qohelet, die hebräische Schreibweise des Buches Kohelet oder des Predigers Salomos - auch auf neuen Werbeartikeln für christliche Buchhandlungen, wo das »Q« neugierig machen soll. Fotos: sob (2), mister-q.de