Luther
Blisset - so heißt sowohl ein jamaikanischer Profi-Fußballer
als auch ein italienisches Schriftsteller-Kollektiv. Das ist
kein Zufall, denn: Luther Blissett ist ein sogenannter "multipler
Name".
Solche
Namen tauchen seit Jahrhunderten einfach immer mal wieder irgendwo
auf: Plötzlich sind sie da und jeder und jede kann mit
ihnen machen, was er oder sie will. 1514 nannten sich beispielsweise
aufständische Kleinbauern, die gegen Steuererhebungen rebellierten
und die schwäbische Stadt Schorndorf besetzten, alle "Armer
Konrad" - und niemand kann mehr sagen, woher dieser Name
ursprünglich kam.
Der
multiple Name "Luther Blissett" und wie er heute noch
benutzt wird, steht in gewisser Weise für einen "Bauernaufstand"
des Informationszeitalters. Dabei ist der Ursprung dieses multiplen
Namen genauso geheimnisvoll wie der des "Armen Konrads".
Eine der vielen unterschiedlichen Legenden führt ihn auf
den jamaikanischen Profi-Fußballer Luther Blissett zurück,
der in den 80er Jahren vom AC Mailand eingekauft wurde. Er schoss
jedoch so gut wie kein Tor und wurde schnell zur Zielscheibe
der rassistischen Witze von italienischen Hooligans. Angeblich
als Reaktion darauf tauchte Anfang der 90er Jahre erstmals der
virtuelle Luther Blissett im Netz auf, um Rache an der Dummheit
des Mainstreams zu nehmen.
Seit
rund zehn Jahren wird Luther Blissett nun schon von unzähligen
Menschen auf der ganzen Welt in unterschiedlichster Weise benutzt:
Zum Beispiel von Demonstranten, die ihn bei Polizeiverhören
als Namen angeben, um die Ermittlungen zu erschweren. Vor allem
Kommunikations-Guerilleros benutzen ihn gerne, um unter diesem
Namen Medienfakes zu lancieren. So brachte beispielsweise ein
gewisser Luther Blissett die italienische Version der Fernsehsendung
"Bitte melde dich!" dazu, nach seinem angeblich verschollenen,
aber in Wirklichkeit völlig fiktiven Freund Harry Kipper
zu suchen. Am meisten spukt Luther Blissett jedoch nach wie
vor durch's Internet. Allein die Suchmaschine Google kommt auf
über 9000 Treffer.
Ein
Grund hierfür ist sicherlich, dass 1994 vier Internet-Aktivisten
aus Bologna diesen Namen aufgriffen und sich als Kollektiv "Luther
Blissett" nannten. Auf ihrer Homepage "lutherblissett.net"
veröffentlichten sie neben all ihren Aktionen, die sie
als Kommunikations-Guerilla unternahmen, auch ihre literarischen
Geschichten, die sie unter dem Autorennamen Luther Blissett
zusammen schrieben und schreiben. Eines ihrer literarischen
Projekte ist der Roman "Q", der bereits 1999 in Italien
für Aufsehen sorgte und der nun auch in der deutschen Übersetzung
bei Piper erschienen ist.
Dieser
spannende Thriller spielt im 16. Jahrhundert, zur Zeit von Reformation
und Gegenreformation, und reicht von den Wittenberger Thesen
1517 bis zum Augsburger Religionsfrieden 1555. Es ist die Geschichte
eines Mannes, der ständig seinen Namen wechselt und immer
wieder an vorderster Front für die Freiheit kämpft.
Als Theologiestudent kommt er erstmals in Wittenberg mit den
Gedanken Martin Luthers und dessen Protest gegen den alleinigen
Wahrheitsanspruch der katholischen Kirche in Kontakt. Angewidert
von Luthers Machenschaften mit den Fürsten, wendet er sich
dem Bauernanführer Thomas Müntzer zu. Er wird erst
zum Wegbereiter und dann zum entsetzten Zeugen des Grauens,
das die Wiedertäufer in Münster anrichten. Quasi als
einziger Überlebender trägt er den Geist des Protestantismus
durch ein halbes Jahrhundert und ganz Europa, von Antwerpen
über Basel und Venedig bis Konstantinopel und taumelt zugleich
von Niederlage zu Niederlage. Schuld daran ist sein geheimnisvoller
Gegenspieler Q, der Spion des römischen Kardinals Gian
Pietro Carafa. Geschickt vereitelt er jeden Angriff auf das
Papsttum, bis sein Auftraggeber schließlich 1555 selbst
den Stuhl Petri als Papst Paul IV. besteigt und die römische
Inquisition einläutet.
"Q"
wurde bereits in mehrere Sprachen übersetzt und gilt schon
heute - von Brasilien bis Korea - als Symbol der vielfältigen
Bewegung der Globalisierungskritker. Schließlich versuchte
das Autorenkollektiv Luther Blissett mit "Q" ganz
bewusst, Gedanken von wichtigen Theoretikern der globalisierungskritischen
Bewegung - wie Franco "Bifo" Berardi oder Antonio
Negri - in Literatur umzusetzen. Dass ihnen dies geglückt
ist, beweist ihr Erfolg: In Italien ist "Q" längst
ein Bestseller. Das Autorenkollektiv nennt sich jedoch schon
seit drei Jahren nicht mehr Luther Blissett sondern heißt
jetzt Wu Ming, chinesisch für "kein Name". Der
multiple Name Luther Blissett lebt jedoch fort ...
LINKS:
WWW.LUTHERBLISSETT.NET
WWW.WUMINGFOUNDATION.COM
WWWWASTUN.ORG
SEITE
DER COMMUNICATION GUERILLA
"Q"
IM PIEPER-VERLAG
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